Ungewöhnliche gemeinsame Erfahrungen
Veröffentlicht am: 12. Mai 2017
Der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der Oberbürgermeister der Stadt Rottenburg am Neckar und der Rektor der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg (HFR) besuchten gemeinsam die Region Arad im westlichen Rumänien.
Begleitet wurden Dr. Gebhard Fürst, Stephan Neher und Prof. Dr. Bastian Kaiser auf ihrer kurzen Reise von Domkapitular Msgr. Dr. Heinz Detlef Stäps, dem Leiter der Hauptabteilung Weltkirche am Bischöflichen Ordinariat in Rottenburg. Diese ungewöhnlich zusammengesetzte Delegation folgte einer Einladung von Frau Rektorin Prof. Dr. Coralia Cotaraci der Vasile Goldis Universität in Arad, mit der die HFR bereits seit über zehn Jahren zusammenarbeitet.
In etwa 15 Einzelterminen und Gesprächsrunden in der westrumänischen Bischofsstadt stand die gesellschaftspolitische Bedeutung der Kirchen, der kommunalen Verwaltungsstrukturen und der Hochschulen im Mittelpunkt des dichten Besuchsprogramms. Nach dem Ende der Ceaușescu-Diktatur 1989 verließen viele der in der Region Banat ansässigen schwäbischen Familien das Land, um in Deutschland neu anzufangen. Die Region wurde dadurch regelrecht entvölkert, die römisch-katholischen Gemeinden verloren ihre Gläubigen, Landwirtschaft und Industrie sahen sich nach der sog. „politischen Wende“ großen Herausforderungen gegenüber, ohne dafür auf Fachkräfte zurückgreifen oder ausreichend viele junge Menschen ausbilden zu können. Doch bis heute wird in der Region noch viel Deutsch gesprochen und die Talsohle scheint durchschritten: In Begegnungen mit Industrievertretern und bei zwei Unternehmensbesichtigungen machte sich die Delegation ein Bild davon, wie die Folgen der Abwanderung allmählich kompensiert und Rumänien den Schritt vom „Billiglohn-Land“ zu einem attraktiven Standort für ausländische Investoren schaffen kann. Auch deutsche Unternehmen haben hier in High-Tech-Produktionen investiert und z.B. aus der Textilindustrie gibt es Verbindungen zu Unternehmen im Kreis Tübingen.
Eine wichtige Voraussetzung für diese „wirtschaftliche Wende nach der politischen“ war das Zusammenrücken der Menschen, die nach dem Ende des Ostblocks geblieben sind. Das gilt auch und in besonderem Maße für die Zusammenarbeit den christlichen Kirchen vor Ort. So war die Begegnung mit dem Erzbischof der rumänisch-orthodoxen Kirche des Bistums Arad, Timotei Seviciu, ein besonderer Höhepunkt der Reise. Er hatte anlässlich des Besuchs aus Rottenburg die örtlichen Vertreter aller christlichen Kirchen zu einem lebhaften, konstruktiven ökumenischen Austausch in seine Residenz gebeten.
Auch innerhalb der römisch-katholischen Kirche gibt es enge Verbindungen zwischen Westrumänien und Baden-Württemberg: Einige der deutschstämmigen Pfarrer haben zusammen mit ihren Gläubigen das Land verlassen und sind seitdem zum Teil auch in der Diözese Rottenburg-Stuttgart tätig. Der ebenfalls deutschstämmige römisch-katholische Bischof der Diözese Temeswar (Timişoara), Martin Roos, wurde vor über 40 Jahren im Rottenburger Dom zum Priester geweiht und nahm hier im Jahr 2000 – damals selbst gerade erst seit einem Jahr Bischof - an der Weihe von Bischof Gebhard Fürst teil. Entsprechend herzlich und vertrauensvoll war deren Wiedersehen im Rahmen dieser Reise.
Die Vasile Goldis Universität Arad pflegt den Kontakt zu den Kirchen und arbeitet eng mit den kommunalen Verwaltungen zusammen. Dies gilt z.B. für das Kreiskrankenhaus, das sie gemeinsam mit dem Landkreis Arad betreibt. Der Besuch mit dem Landrat in der Klinik, ein Arbeitsgespräch mit ihm sowie ein Besuch bei der Verwaltungsspitze der Stadt Arad im Rathaus waren deshalb nicht nur für OB Neher interessant, sondern verdeutlichten die enge Zusammenarbeit zwischen Hochschule, Kommunen und Kirchen in der Region.
„Ich komme seit 2005 immer wieder nach Arad, aber durch diese ungewöhnliche Delegation habe ich bei diesem Besuch vieles gesehen, erlebt und erfahren, was ich noch nicht kannte“, stellt Bastian Kaiser beeindruckt fest, „es haben sich dadurch für alle Teilnehmer dieser Reise interessante Kontakte ergeben und buchstäblich neue Türen geöffnet.“
„Es ist für mich durchaus vorstellbar, dass sich die Städte Rottenburg und Arad sowie der Kreis Arad und der Landkreis Tübingen auf der Basis der bestehenden universitären und kirchlichen Kontakte besser kennenlernen“, sagt Stephan Neher, „auf der Reise hat das Zusammenspiel jedenfalls schon gut geklappt.“
Und obwohl zwischen der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Diözese Temeswar bereits gute Beziehungen bestehen, schließt auch Bischof Gebhard Fürst nicht aus, dass aus diesem Besuch mehr entstehen könnte:
„Wir haben zum Beispiel die Sanierung der Wallfahrtskirche Kloster Radna unterstützt und nun vor Ort das wunderbare Ergebnis der Arbeit unserer Glaubensgeschwister bewundern können.“
Es hat lange gedauert und der Initiative einer ausländischen Hochschule bedurft, bevor sich Bischof, Oberbürgermeister und Rektor gemeinsam auf eine solche Reise gemacht haben – immerhin haben ihre addierten Amtszeiten in diesem Jahr das „Schwabenalter“ erreicht. Angesichts der sehr positiven Eindrücke und der möglichen Entwicklungen, die sich aus dem Besuch in Rumänien ergeben könnten, denkt Rektor Kaiser schon mal weiter: Schließlich habe man auch in der Region Murcia (Spanien), in Paraná (Brasilien), in Ghana und in Chile Kooperationen mit Universitätsstandorten, die zugleich Bischofssitze sind.