Das Modell der Fachhochschulen als „Exportschlager"
Veröffentlicht am: 28. November 2018
Die größte und bedeutendste Vereinigung mexikanischer Universitäten hat in der vergangenen Woche zu ihrer Jahresversammlung nach Mazatlán im Norden des Landes eingeladen, um darüber zu diskutieren wie Universitäten direktere und wirksamere Beiträge zur Entwicklung ihres Landes und der Gesellschaft leisten können. Außer den Rektorinnen und Rektoren der mexikanischen Mitgliedshochschulen waren Rektoren aus Spanien, Guatemala, Kolumbien und Kanada sowie der Vorsitzende der Rektorenkonferenz der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg (HAW), Bastian Kaiser, eingeladen.
Mexiko steht unmittelbar vor einem Regierungswechsel. Das Land muss noch immer damit rechnen, vom Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, durch einen Mauerbau vom nordamerikanischen Markt abgeschnitten zu werden. Zudem sieht es sich aktuell mit der Herausforderung tausender Menschen aus Mittelamerika konfrontiert, die sich auf den Weg in die USA gemacht haben. Gleichzeitig entwickelt sich das Land aufgrund der Wirtschafts- und Zollpolitik von Präsident Trump mehr und mehr zu einer geographisch naheliegenden Ausweichregion im nördlichen Amerika für internationale Industrieinvestitionen.
Die Universitäten des Landes müssen sich unabhängig von solchen aktuellen Entwicklungen ständig weiterentwickeln und dabei die mittel- und langfristigen Herausforderungen ihres Landes und seiner Jugend im Blick behalten. Diese sind in diesem großen Land vor den Toren der Vereinigten Staaten von Amerika, mit einem enormen Bevölkerungswachstum und einer dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung sowie der zunehmenden Bedrohung durch klimabedingte Wetterereignisse beträchtlich – und häufig auch zeitlich drängend. In einer solchen Situation liegt es nahe, „über den Tellerrand zu blicken“ und nach Ideen und Lösungen zu suchen, die effizient und rasch helfen könnten. Das Präsidium der größten und bedeutendsten Vereinigung mexikanischer Universitäten (ANUIES - Asociación Nacional de Universidades e Instituciones de Educación Superior) hat die diesjährige Vollversammlung im nordmexikanischen Mazatlán deshalb ganz den Themen Internationalisierung und Nachhaltigkeit gewidmet. Dabei wurde das Prinzip der Nachhaltigkeit bewusst als Ziel der Universitäten definiert, um möglichst schnell umsetzbare Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen anbieten zu können.
Im Rahmen einer Kontaktfindungsreise der Wissenschaftsministerin Baden-Württembergs, Theresia Bauer, im Februar dieses Jahres und des Gegenbesuchs zweier Landesminister und einer Delegation von mexikanischen Universitätsrektorinnen und –rektoren, Anfang Oktober, der die Gruppe unter anderem nach Rottenburg führte, wurden die Mexikaner auf das Modell und die unmittelbare Wirkung der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften aufmerksam.
Spontan luden sie, als einzigen nicht-spanischen Europäer, den Rektor der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg (HFR) und Vorsitzenden der HAW-Rektorenkonferenz im Land, Bastian Kaiser, als Impulsgeber und Gesprächspartner nach Mazatlán ein.
In Vortragsveranstaltungen im Plenum und Podiumsdiskussionen setzten sich die rd. 600 Teilnehmer und Teilnehmerinnen von staatlichen, privaten und kirchlichen Universitäten ganz Mexikos drei Tage lang mit den aktuellen Fragen und möglichen Lösungsansätzen auseinander. Obwohl auch die Qualität des mexikanische Universitätssystem fast ausschließlich anhand international geltender Indikatoren beurteilt und gefördert wird, die ausschließlich Leistungen der Grundlagenforschung würdigen und eine Anwendungsorientierung eher diskriminieren, zeigten sich die Mexikaner am Modell der HAW sehr interessiert und für dessen Einführung als Hochschulart oder fachübergreifende Fakultäten offen – das galt auch für die anwesenden Bildungspolitiker und –politikerinnen des Bundes und der Länder Mexikos.
„Wir nehmen seit einigen Jahren ein deutlich zunehmendes Interesse vieler Länder an unserer Hochschulart wahr – nicht nur, aber vor allem aus Schwellenländern mit einer guten Entwicklung“, stellt Bastian Kaiser fest. „Die Gründe dafür decken sich zum Teil mit denen für das gestiegene Interesse junger Menschen an einem Fachhochschulstudium hier im Land und werden durch den hohen zeitlichen Druck einiger globaler Probleme und deren unmittelbare Wirkung in solchen Ländern noch verstärkt. Ich bin deshalb sicher, dass die HAW, neben dem dualen Ausbildungssystem, zu einem zweiten, wertvollen `Exportschlager´ des Bildungssektors Baden-Württembergs werden.“
Eine Voraussetzung dafür wird hier und andernorts aber sicherlich die uneingeschränkte Anerkennung einer stärker umsetzungsorientierten Lehre und Forschung sowie deren gezielte Förderung als Innovationsmotor und Entwicklungspotential für die Regionen sein, ist sich Bastian Kaiser sicher. So lange ausgezeichnete Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in fast allen Disziplinen vor allem dann Chancen auf eine ebenso ausgezeichnete und gut geförderte Hochschulkarriere haben, wenn sie dem Ruf großer Universitäten und der Grundlagenforschung folgen – und die HAW und Fachhochschulen diesen strukturell nicht genug entgegenzusetzen haben, so lange bleibt das HAW-Potential teilweise ungenutzt und unterschätzt. Das Interesse aus Mexiko und anderen Ländern zeigt das Potential der HAW im internationalen Kontext und bestätigt die Arbeit und zunehmende Bedeutung dieser Hochschulart im Wissenschafts- und Hochschulsystem Baden-Württembergs und als Vorbild weltweiter Entwicklungen.
Sachinformation:
In der ANUIES (Asociación Nacional de Universidades e Instituciones de Educación Superior) sind über 130 der rund 1.000 mexikanischen Universitäten vereinigt, die jedoch rund 60 Prozent aller Studierenden in Mexiko immatrikuliert haben. Zur ANUIES gehört mit der UNAM (Universidad Nacional Autónoma de México) die international wohl bekannteste Universität des Landes.