Urwälder im Herzen Europas
Veröffentlicht am: 03. November 2021
BLNN legt Report über die Vernichtung der letzten mitteleuropäischen Urwälder in den rumänischen Karpaten vor
Das Foto von 2015 zeigt einen Kahlschlag im Fogaras-Gebirge. Mehrere tausend Hektar alter, naturnaher Wälder fielen hier illegalen Einschlägen zum Opfer. (Foto: Christoph Promberger, Fundatia Conservation Carpathia)
Großflächige Urwälder sind in Mitteleuropa eine Seltenheit. Schätzungsweise gibt es noch 1000 bis 1500 Quadratkilometer in den rumänischen Karpaten, womit das Balkanland rund zwei Drittel aller Urwälder der Europäischen Union besitzt. Doch auch diese Restbestände sind durch illegale Holzeinschläge und Folgeschäden bedroht. Allein in den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die Urwaldfläche ungefähr halbiert.
Der Report des Badischen Landesvereins für Naturkunde und Naturschutz (BLNN) „Urwälder im Herzen Europas“ von Rainer Luick, Albert Reif, Erika Schneider, Manfred Grossmann und Ecaterina Fodor ist eine umfassende Analyse der Bedeutung, Situation und Zukunft der rumänischen Urwälder.
Urwälder sind weitgehend unbeeinflusste Lebensräume mit unersetzlichen Genreserven, die nicht durch nutzungsorientierte Selektion verändert wurden. Damit bergen sie auch das genetische Potential für klima-angepasste Weiterentwicklung vieler Arten, wie etwa der Buche und der Weißtanne. Zudem sind Urwälder sich selbst optimierende Ökosysteme, aus denen sich wichtige Informationen für Wirtschaftswälder gewinnen lassen. Für die mitteleuropäischen Standorte fehlen derartige Referenzwälder aber heute weitgehend.
Wie viele Restbestände an relevante Urwäldern es in den schwer zugänglichen Karpaten in Rumänien aber genau gibt kann nur geschätzt werden, denn Erhebungen sind nicht verfügbar bzw. gar nicht vorhanden. Fest steht jedoch, dass seit dem Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union ab 2007 rund 350.000 Hektar alter Waldbestände, darunter viele urwaldähnliche, verloren gegangen sind, wie eine von den Niederlanden finanzierte internationale Studie gezeigt hat. Danach ist in kaum zwei Jahrzehnten etwa die Hälfte der Rumänischen Urwälder legal und illegal der Motorsäge zum Opfer gefallen. Ein korruptes System aus Verwaltungen, Wirtschaft und Politik verschafft sich aus Unterschlagung, Bestechungsgeldern und Auftragsvergaben Vorteile auf Kosten von Gesellschaft und Natur. Korruption und Amtsmissbrauch gelten in Rumänien als Massenphänomene und sind tief in der Alltagskultur verankert.
Im System der Naturausbeutung und -zerstörung spielen auch ausländische Firmen im Sektor der Holzindustrie eine unrühmliche Rolle. Sogar die rumänische Staatsanwaltschaft kam nach der Durchsuchung von 23 Firmenniederlassungen zu dem Schluss, dass die Holzindustrie zusammen mit Regierungsstellen und der staatlichen Forstverwaltung Romsilva im großen Stil illegale Holzeinschläge organisierte und dabei einen Marktwert von 5 Milliarden Euro erzielte. Allein 2017 wurden 20.000 Fälle illegaler Holzeinschläge bekannt, doch nur 5500 von ihnen wurden geahndet und nur 605 Fälle landeten vor Gericht. 2019 überraschte der damalige rumänische Umweltminister Costel Alexe dann mit dem Eingeständnis, dass der jährliche Einschlag zuletzt bei durchschnittlich 38 Mio. Festmeter gelegen habe, also damit mehr als doppelt so hoch, wie die Staatsforstverwaltung Romsilva angibt. Romsilva ist eine mit mehr als 16.000 Beschäftigten überdimensionierte Verwaltung, die lukrative Posten für verdiente Staatsmitarbeiter bereithält und sich ausschließlich aus Holzverkäufen finanziert.
Tragischer Höhepunkt der jüngsten Entwicklung in Rumänien war die Ermordung von zwei Förstern im September und Oktober 2019; die Botschaft: Wer sich dem Holzraub entgegenstellt, riskiert sein Leben. Die rumänische Waldarbeitergewerkschaft Consilva berichtet von sechs Toten und 650 Fällen von Gewalt gegen Waldarbeiter und Förster in den vergangenen Jahren.
Der Report endet mit den letzten aktuellen Ereignissen des Frühjahrs 2021. Die rumänische Kartellrechtsbehörde verurteilte insgesamt 30 Unternehmen des Holz- und Forstsektors zu millionenschweren Strafzahlungen für korruptes Handeln. Allein die österreichischen Holzkonzerne HS Timber Group, Egger und Kronospan und mehrere Zulieferbetriebe zahlten insgesamt 26. Mio. Euro – die höchste Strafzahlung in der Geschichte des Landes.
Die Ereignisse zeigen, dass Rumänien ein innerlich zerrissenes Land ist und gleichzeitig Täter wie auch Opfer ist. Die Autoren der Studie stellen deshalb fest, dass Überheblichkeit reicher westeuropäischer Länder gegenüber dem vergleichsweise armen rumänischen Staat fehl am Platze ist. Deshalb fordern sie dazu auf, Rumänien beim Schutz der Urwälder zu unterstützen. Zugleich appellieren sie an die EU, klare Richtlinien in der Biodiversitätsstrategie 2030, die auch dem Schutz der Urwälder dient, zu schaffen. Hierzu gehören neben attraktiven Förderprogrammen auch Kontrollen und Sanktionsmechanismen bei Verstößen.
„Wir wollen mit der Studie allen, die sich für den Schutz der Urwälder und der naturnahen Wälder engagieren, Grundlageninformationen liefern. Aber wir hoffen auch, hierüber politisches Handeln auszulösen“, erklären die Autoren Albert Reif und Rainer Luick. Damit lassen sie keinen Zweifel daran, dass sie neben einem naturwissenschaftlichen auch einen gesellschaftspolitischen Anspruch erheben.
Seit 1881 widmet sich der Badische Landesverein für Naturkunde und Naturschutz e.V. (BLNN) mit Sitz in Freiburg der Erforschung und dem Schutz der Natur im Südwesten. Für Fachleute und Naturliebhaber bietet er im Sommerhalbjahr Exkursionen, im Winterhalbjahr Vorträge und Seminare in Kooperation mit der Universität an. Der BLNN ist außerdem Herausgeber der Mitteilungen des Badischen Landesvereins für Naturkunde und Naturschutz mit wissenschaftlichen Arbeiten zu Fauna, Flora, Geologie und Naturschutz sowie Sonderpublikationen wie dem Urwaldbuch. Erster Vorsitzender des Vereins ist Prof. Albert Reif.
Urwälder im Herzen Europas (2021) von Rainer Luick, Albert Reif, Erika Schneider, Manfred Grossmann und Ecaterina Fodor, 132 Seiten, Herausgeber: Badischer Landesverein für Naturkunde und Naturschutz, BLNN.
Englische Digitalversion (gratis): https://freidok.uni-freiburg.de/data/194387
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