Blau-gelbe Beflaggung in der Rottenburger Königsstraße: Freundliche Begrüßung für die Hochschul-Gäste aus der Ukraine?
Veröffentlicht am: 18. Februar 2019
Zum Auftakt eines gemeinsamen Projekts kam der Rektor der Nationalen Forsttechnischen Universität der Ukraine mit einer kleinen Delegation an die Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg (HFR). In einem dichten Programm machten sie sich ein Bild von der gastgebenden Hochschule, von der Forstorganisation sowie von der Holz- und Energiewirtschaft in Baden-Württemberg. Finanziert wird dieser Austausch von der Baden-Württemberg-Stiftung.
Die ukrainische Delegation um Rektor Yuriy Tunytsya (zweiter von links) zu Gast an der HFR bei Rektor Bastian Kaiser (ganz links)
Sofort fielen den Gästen der Nationalen Forsttechnischen Universität der Ukraine (engl. Ukrainian National Forestry University, UNFU) um ihren Rektor, Prof. Dr. Yuriy Tunytsya, bei ihrer Ankunft in Rottenburg die blau-gelben Wimpel über der Straße vor ihrem Hotel auf. Der Finanzbürgermeister der Stadt, Dr. Hendrik Bednarz, klärte sie jedoch bei einem Empfang im Rathaus darüber auf, dass dies kein Zeichen der Gastfreundschaft sei, sondern Teil des Straßenschmucks, der die bevorstehende Fasnet ankündigt. Doch auch ohne diese „Extra-Geste“ fühlten sich die Gäste in Rottenburg und in Baden-Württemberg sehr wohl und willkommen.
Neben einem ausführlichen Austausch über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der forstlichen Ausbildung an beiden Hochschulen, einer Führung durch das Lehr- und Forschungsrevier durch den Revierleiter Lorenz Truffner, der Vorstellung der HFR und dem Empfang der Stadt, standen ein Besuch bei der Forstdirektion Tübingen in Bebenhausen, ein kurzer Rundgang durch die Altstadt Tübingens und einige Einrichtungen der Universität Tübingen, ein Ausflug in die Region des Nationalparks Schwarzwald sowie die Besichtigung des Sägewerks Echtle in Nordrach auf dem Programm, das außer modernster Sägetechnologie ein Biomassekraftwerk betreibt und fast die gesamte Gemeinde sowie zwei Kliniken mit Wärme versorgt.
Ziel des Projekts mit einer Laufzeit von drei Jahren ist es, im Hochschulmanagement, in der forstlichen Ausbildung und hinsichtlich des Transfers nachhaltiger Forstwirtschaftskonzepte für die Praxis voneinander zu lernen und aus dem Vergleich neue Erkenntnisse für beide Seiten zu ziehen. Nicht alles in Deutschland, in der deutschen Forstwirtschaft und in Rottenburg ist den Kollegen der UNFU neu: Diese traditionsreiche und renommierte Forst-Universität in Lviv, dem früheren Lemberg in der Westukraine, unterhält schon lange fachliche und persönliche Kontakte zum Beispiel zur Universität Freiburg, zur Hochschule Eberswalde und auch zur HFR. So kommen zum Beispiel seit 12 Jahren jedes Jahr Studierende der Universität Lviv zu einer zehntägigen Exkursion nach Baden-Württemberg. Um das Programm und dessen Finanzierung kümmern sich ehemalige und aktive Forstleute im Nordschwarzwald.
Vor der Zerschlagung der Sowjetunion war die UNFU einer der bedeutendsten Forstakademien in diesem Riesenreich und hat Forstexperten für alle Regionen ausgebildet, so dass ihre Absolventen heute in vielen Ländern der früheren UDSSR arbeiten. Seitdem sind die Arbeitsbedingungen in der Ukraine zunehmend schwieriger geworden, obwohl die Bedeutung der Forstwirtschaft für die ukrainische Volkswirtschaft – der früheren Kornkammer der Sowjetunion – eher zugenommen hat.
Lviv (früher Lemberg) und Rottenburg verbindet nicht nur die Tatsache, jeweils eine Forsthochschule in der Stadt zu haben, sondern auch einige Jahre gemeinsame österreichische Geschichte.
Neben dem fachlichen Austausch und der Offenheit aller Gastgeber im Laufe dieses ersten Projekttreffens waren die Gäste vor allem davon beeindruckt, dass die jüngste Geschichte ihres Landes den meisten ihrer Gesprächspartner durchaus bekannt ist: Die Annektion der Krim durch Russland und die bis heute andauernde Auseinandersetzung um die östliche Donezk-Region sowie der Bau der Gasleitung Nordstream 2 von Russland nach Deutschland, die erhebliche wirtschaftliche Nachteile für die Ukraine mit sich bringen könnte, waren immer wieder Themen der Gespräche.
„Eine wichtige Bedeutung dieses von der Baden-Württemberg-Stiftung geförderten Projekts liegt auch in der Beachtung und dem Respekt, den wir unseren Kollegen in der Ukraine entgegenbringen“, sagt Rektor Bastian Kaiser, „die hätten sie sich von uns, von unseren Regierungen sowie von der EU auch beim Konflikt um die Krim gewünscht.“
Insofern handelt es sich bei diesem Vorhaben nicht um ein Forschungsprojekt im engeren Sinne, sondern um ein Format der Begegnung, der gegenseitigen Wertschätzung, des Austauschs und der Information, in dessen Rahmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hochschulverwaltungen zu gegenseitigen Besuchen eingeladen werden.